Gibt es eine Formel für Glück? Glaubt man den Schweden, dann ja. Sie heißt „Lagom“ und bedeutet „nicht zu viel und nicht zu wenig“. Diese Lebensphilosophie ist so simpel wie effektiv: niemals in ein Extrem verfallen. Eine Weisheit, die der Krefelder Sven Bost erst lernen musste. Denn der ehemalige Posterboy der Bravo lebte jahrzehntelang auf der Überholspur, nachdem er in einen Strudel aus Drogen, Sex und Partys geraten war. Mit der autobiografischen Erzählung „Umwege. Die innere Reise.“ lässt uns der Werbegrafiker nun an intensiven Erfahrungen teilhaben. Wir tauchen ein in eine Jugend mit Königsburg, Kirmes, Techno- und Popmusik – und lesen, welchen Einfluss Gedanken auf Gefühle haben können.
Ein kleiner Ort im Hochsauerland, der Blick aus dem Fenster fällt auf eine malerische Landschaft: schneebedeckte Tannen und Fachwerkhäuser prägen das Bild. In dieser Idylle hat Sven Bost vor fünf Jahren begonnen, sein Leben zu ordnen und aufzuschreiben. Und das klingt nicht nach Langeweile: Erfahrungen als Fotomodell, Drogen- und Partygeschichten sowie gebrochene Frauenherzen liegen ebenso auf dem Weg wie eine behütete Kindheit in Krefeld, die Arbeit als selbstständiger Werbegrafiker oder seine Läuterung zum mentalen Coach. Band 1 „Königssohn“ der dreiteiligen Autobiografie ist soeben erschienen.
Der Autor wirkt heute entspannt und aufgeregt zugleich, wenn er sein Buchprojekt erläutert; Sprechpausen sind nicht sein Ding, Selbstreflexion schon eher: „Mein Buch ist eine Aufarbeitung und ein schonungslos offener, intimer und ehrlicher Lebensbericht, der den Leser alle Lebensphasen hautnah miterleben lässt. Im Moment mache ich das Lektorat noch selbst, auch wenn ich weder professioneller Schriftsteller noch Philosoph bin. Wenn sich Fehlerchen eingeschlichen haben oder ein paar Kommas fehlen sollten, stört mich das nicht so sehr. Die Story ist wichtig. Und dass der Leser bereichert aus der Lektüre hervorgeht!“ Ein Blick in die freundlichen, von tiefen Fältchen umrahmten Augen lässt erkennen, dass er es absolut ernst meint.
Die langjährige Drogensucht ist durchaus im Gesicht des 53-Jährigen ablesbar, seine heutige Erscheinung mit Vollbart, kinnlangen Haaren und innerer Ruhe kontrastiert stark mit den Fotos aus der Model-Kartei, die einen sonnenbankgebräunten wie oberflächlichen Schönling zeigen. „Als Jugendlicher bin ich voll aufs Ego abgefahren“, bestätigt der gebürtige Frankfurter diesen Eindruck. „Ich war ein verwöhntes Einzelkind, ein Aufreißertyp, der sich über seine Frisur und ein cooles Styling inszenierte.“ Zum typischen Outfit hätten eine bestickte Jacke, Ohrringe wie bei den Jungs der Popband Bros und Cowboystiefel à la George Michael gehört, erinnert sich Sven lachend an die wilde Zeit als Bravo-Posterboy: „Ich wollte wie Nick Kamen sein, die Mädchen sollten sich meinetwegen in die Wolle kriegen! Auf meinem Egotrip bin ich inflationär mit dem Sex umgegangen, obwohl ich im Herzen eigentlich eher ein unsicherer Typ voller Fragezeichen und Ängste war.“ Seine Kindheit und Jugend schildert er auf über 500 Seiten so detailreich, dass vor allem Nostalgiker ihre Freude haben sollten: Von der Kirmes auf dem Sprödentalplatz über „unter der Uhr“ an der Rheinstraße bis hin zu Königsburg, Stadtwald, Friedrichsplatz oder Horten sind viele Orte vertreten, die Krefelder Lesern gut vertraut sind. Dabei sei der Buchtitel „Königssohn“ gar nicht auf die berühmte Discothek zurückzuführen, wie manche vermuteten, sondern auf seine besondere Kindheit, erläutert der Krefelder Jung lächelnd.
„Meine Eltern waren sehr jung, 17 und 19 Jahre alt, als ich zur Welt kam. Vier Jahre später starb mein Vater durch einen Verkehrsunfall. Diese Situation hat meine ganze weitere Entwicklung geprägt. Meine Mutter, die ich auch heute noch abgöttisch liebe, hatte den Impuls, mich vor allem Unbill dieser Welt zu schützen. Gleichzeitig war sie als junge Mutter mit ihrer alleinerziehenden Rolle überfordert und stieß schnell an ihre Grenzen. Durch ihre erhöhte Aufmerksamkeit bin ich ziemlich dekadent geworden. Die jahrzehntelange Abhängigkeit von Betäubungs- und Aufputschmitteln ist mit Sicherheit einer der größten Umwege in meinem Leben.“ Wer nun glaubt, dass es in den drei Büchern im Wesentlichen um Partys, Drogen und Sex gehe, soll angesichts der Vielschichtigkeit seiner Geschichte überrascht werden: Autor Sven verspricht eine große Lovestory rund um das Mädchen „Grünauge“, tiefe Einblicke in die „zarte Seele“ eines Künstlers und spirituelle Erkenntnisse, die er als „alter Mann“ gewonnen habe. Das breite Grinsen verrät eine erfrischende Selbstironie.
Seinen Kampf gegen die Sucht wird Sven erst in Band 2 „Höllensturz“ schildern, und auch für den finalen Band „Balance“ hat er schon konkrete Vorstellungen. Zum autobiografischen Schreiben sei er 2019 über einen Therapieplatz im Sauerland gekommen, resümiert er nachdenklich. „Ich saß hier in der Pampa, war deprimiert und wusste nicht mehr weiter; ich wollte mich und mein Leben endlich verstehen. Also erstellte ich eine Liste mit allen Stationen, die hinter mir lagen. Immer mehr Details poppten auf, jede Erinnerung malte mir Bilder in den Kopf. Bei der Königsburg dachte ich an Techno, Nebel, die DJs, das Podest. Dann reihte ich einfach diese Erinnerungsbilder aneinander, und der Text floss nur so aus mir heraus.“ Und so finden sich auch romantische Passagen im Buch: „An einem sonnigen Tag beobachtete ich den kreisenden Tanz zweier Schmetterlinge. Sie waren, flatternd und schwebend, in einem spiralierenden Reigen umeinander getanzt. Anscheinend hatten sie sich gefunden, und nun stiegen sie gemeinsam immer höher hinauf. Um sich kreisend und werbend flatterten sie in das gelbe, strahlende Sonnenlicht hinein. Immer höher drehten sie sich hinauf, viel höher als ich je einen Schmetterling hatte fliegen sehen. Mein Auge folgte dem tanzenden, flirtenden Paar, bis es schließlich in den blauen Höhen des Himmels verschwunden war, bis ich sie, geblendet gegen das gleißende Licht blickend, nicht mehr sehen konnte. So war das mit der Liebe.“
Die künstlerische Ader führt Sven auf seinen Vater zurück, der in Krefeld eine Zeitschrift herausgebracht hatte. Als Schüler schnappt er sich ein Tuschefässchen und beginnt zu zeichnen. Viele Bilder tragen den Look der 80er mit breiten Schulterpolstern und ausgeprägten Frisuren. Doch am Ende realisiert der Krefelder den ursprünglichen Berufswunsch als Comiczeichner nicht, wie er selbstkritisch feststellt: „Mir fehlte trotz des Talents die Disziplin, ein ganzes Album zu füllen. Insofern entschied ich mich für das Nächstbeste und landete mit 17 in der Werbebranche.“ Dass der gelernte Werbegrafiker auch sich und sein Werk gut vermarkten kann, verwundert daher nicht: Sven Bost ist in den sozialen Medien aktiv, er gibt Interviews im Radio und plant Lesungen – natürlich in Krefeld. Auf der anderen Seite beschreibt der Ex-Partyboy sein eigentliches Naturell als zurückhaltender Eremit, der gern allein und mit der Natur lebt. Immerhin sei er im Juli geboren, ein „Vollkrebs“ der mittleren Dekade, der sehr emotional sei und sich oft „unter einem Stein“ verkrieche. Eine spannende Mischung.
Den Wendepunkt in seinem kurvenreichen Leben, das er selbst als Odyssee betrachtet, kann der heutige Sauerländer genau bestimmen: „In vielen Phasen meines Lebens war ich nicht wirklich glücklich und habe das lange Zeit nicht verstehen können. Obwohl von außen betrachtet alles in Ordnung schien, fand ich innerlich doch nie wirklich zu meinem Glück. Joggen, Psychopharmaka oder Psychiater – nichts half! Dann las ich eines Nachts einen Satz von Eckhart Tolle: ‚Du bist nicht deine Gedanken!‘ – und das änderte alles.“ Von diesem Schlüsselmoment an lernt Sven zu meditieren, hört unzählige Vorträge und beginnt, Bücher zu lesen und Hörbücher zu verschlingen. Das Spektrum ist breit: Hermann Hesse, Thomas Mann, Virginia Woolf, Patrick Süskind – und immer wieder der spirituelle Autor Tolle. „Er hat mir gezeigt, meine Aufmerksamkeit im Jetzt zu halten und mich nicht in Ängsten und Befürchtungen, Anforderungen und Wünschen zu verlieren. Am liebsten würde ich Eckhart Tolle persönlich umarmen, denn ohne ihn hätte ich niemals die richtige Richtung eingeschlagen!“
Heute kann man Sven Bost als Coach und Begleiter buchen – er habe aus den Fehlern auf seinem Weg gelernt, akzeptiere sich selbst und wolle mit Liebe und Ausgeglichenheit seine Erkenntnisse weitergeben. Aus eigener Erfahrung weiß er: „Unsere Gedanken können Gefühle auslösen, die unwahr sind. Denken wir nur an das Beispiel Opferrolle!“ Und daran könne man schließlich arbeiten. Für den Vertreter einer oft als oberflächlich diffamierten Generation ist das Leben eine „innere Reise, die uns über Berge und durch Täler führt, damit wir möglichst viele Erfahrungen sammeln und an deren Ende wir, ein gutes Stück weiser, wieder in der eigenen Mitte ankommen.“ Der ehemalige „Mister Maßlos“ ist vielleicht noch nie nach Skandinavien gereist. Doch den urschwedischen Wunsch nach einem Leben im Gleichgewicht hat er längst erreicht.
Erste Lesung: Klärwerk Uerdingen
17. März, 15 bis 17 Uhr
Eintritt frei
Anmeldung: kalender.klaerwerk-krefeld.org/veranstaltung/buchlesung-umwege-die-innere-reise/
Buchbestellung: bost.at
Fotos: Sven Bost